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Die IT-Herausforderungen für einen Auftragsfertiger in der Automobilproduktion

 

Die Informationstechnik (IT) ist aus der modernen Wirtschaft nicht mehr wegzudenken. Was als reine elektronische Datenverarbeitung zur Speicherung und Verwaltung größerer Datenbestände begonnen hat, umfasst in der heutigen industriellen IT auch die Vernetzung der Maschinen in Produktionsprozessen innerhalb eines Werkes. Demnach gehören in der modernen Automobilproduktion Mitarbeitende, die IT-Systeme der Produktion betreuen können, zum Standardinventar.


IT GREIFT, LANGE BEVOR DIE AUTOMOBILFERTIGUNG BEGINNT 

Die IT spielt bereits am Anfang eine zentrale Rolle: Bei der Angebotserstellung muss sie die Systeme und Prozesse durchleuchten und beurteilen, die für das jeweilige Projekt erforderlich sind. Was wird benötigt, was ist schon vorhanden, wie sehen die Prozesse und die jeweilige IT-Integration aus?

Nur so lassen sich die Kosten ermitteln, auf deren Basis man die Angebotskalkulation durchführt. Auch in den weiteren Schritten, dem Aufbau und dem Start der Serienproduktion bis hin zur kontinuierlichen Begleitung und Optimierung der laufenden Serie, behält die IT und deren Mitarbeitenden ihre zentrale Bedeutung.

Grundsätzlich entscheidend ist dabei, wie umfangreich das Projekt der Automobilproduktion ist, also welche Prozesse der Auftragsfertiger abzudecken hat. Naturgemäß gibt es Unterschiede in der zu etablierenden Systemlandschaft – je nachdem, ob es sich um die Montage eines „fertigen“ Produktes handelt oder ob im Auftrag des Fahrzeugherstellers erst die Entwicklung erfolgt.

 

NEW ENTRANTS ERFORDERN ANDERE IT-STRUKTUREN ALS ETABLIERTE FAHRZEUGHERSTELLER

Wenn es sich beim Auftraggeber um ein Unternehmen handelt, das neu in den Automotive-Bereich eintritt (den sogenannten New Entrants), sind die Aufgaben an die IT-Mitarbeitenden ganz anders geartet als bei einem Projekt, das man für einen etablierten Fahrzeughersteller aufsetzt. Der etablierte Hersteller hat in der Regel schon eine große IT-Landschaft mit erprobten Prozessen aufgebaut, die natürlich auch für ein neues Projekt wieder genutzt werden soll. Das reduziert den Aufwand für den Auftragsfertiger – insbesondere, wenn es sich bei dem neuen Projekt nicht um das erste handelt, das mit diesem Fahrzeughersteller durchgeführt wird.

Die Neueinsteiger erfordern eine andere Herangehensweise. Sie sind oft sehr visionär und haben innovative Ideen – aber naturgemäß keinerlei Erfahrung, wie das „Abenteuer Automobilproduktion“ konkret anzugehen ist. Und sie verfügen oftmals nicht über die IT-Strukturen, die dafür erforderlich sind, und auch über wenig Erfahrung mit den IT-Prozessen. Hier kann ein kompetenter Fertigungspartner die notwendige Erfahrung einbringen: Wie werden die geforderten Systeme integriert, wie sehen die Prozesse aus? So kann der New Entrant teure Fehler von Anfang an vermeiden.

Umgekehrt eröffnet die Zusammenarbeit mit neuen Partnern und die Beschäftigung mit neuen Ideen auch für den Fertigungspartner die Möglichkeit, zu lernen und Prozesse neu zu denken. Was kann man anders machen, kann man auch mit anderen Systemen oder mit anderen Methoden arbeiten? Dazu kann auch gehören, zu verstehen, warum US-amerikanische Fahrzeughersteller eine andere Herangehensweise haben als deutsche Fahrzeughersteller. 


IT-SYSTEMKOMPATIBILITÄT ZWISCHEN FERTIGUNGSPARTNER UND HERSTELLER-AUFTRAGGEBER  

Das fängt bereits mit den Schnittstellen zum Datenaustausch zwischen Fahrzeughersteller und Fertigungspartner an. Denn je nach Land oder Kontinent sind unterschiedliche Systeme üblich. Magna als führender Auftragsfertiger hat über die Jahre eigene Prozesse und Systeme entwickelt.

Bei einem Fertigungsauftrag kommen die relevanten Daten, etwa die CAD-Daten, Konstruktionsdaten oder Stücklisten in der Regel vom Hersteller-Kunden. Sie werden meistens in einem Produktdatenmanagementsystem abgebildet und müssen entsprechend aufbereitet werden, damit die internen Systeme beim Fertigungspartner sie verstehen und verarbeiten können.

Der nächste Schritt ist das gesamte Logistiksystem, das die Prozesse abwickelt. Auch hier hat jeder Hersteller sein eigenes System. Magna hat ein eigenes, in der Branche einzigartiges System entwickelt, das unter anderem in der Lage ist, die Fertigung mehrerer unterschiedlicher Fahrzeuge auf einer Linie zu ermöglichen.

Und schließlich gibt es das Manufacturing Execution System (MES), das dafür zuständig ist, die Fertigungsstraße zu steuern, zu überwachen und zu kontrollieren. Zur Vereinfachung passt der Fertigungspartner die Schnittstellen zu den Kunden optimal an, um mit den eigenen Systemen die Prozesse standardisiert abzuwickeln. 



IT-SYSTEME AUCH IN DER LAUFENDEN PRODUKTION FÜR BETRIEBSSICHERHEIT VERANTWORTLICH 

Kein IT-System ist zu 100 Prozent fehlerfrei. Oft stellen sich Probleme erst nach einer gewissen Laufzeit ein. Das erfüllt den Laien mit Misstrauen: Potenziell könnte eine vollständig IT-gesteuerte Fertigung die Produktion umso anfälliger für Störungen machen, je komplexer die dahinterstehenden Systeme sind. Deshalb hat die Betriebssicherheit höchste Priorität – schon allein, weil Ausfälle teuer sind.

Deswegen ist rund ein Drittel aller Mitarbeitenden in der IT bei Magna in Graz dafür zuständig, die Automobilproduktion sicherzustellen. Ein großer Teil der Arbeit findet in Produktionspausen statt. Updates müssen eingespielt und neue Security-Systeme implementiert werden, um immer up to date zu bleiben. Das passiert zum einen tagtäglich, zum anderen werden umfangreiche Updates aber auch über Monate hinweg vorbereitet und an Wochenenden durchgeführt, damit der Betrieb am Montag wieder reibungslos anlaufen kann. 


ABSICHERUNG GEGEN ANGRIFFE VON AUSSEN

Von 2022 auf 2023 hat sich die Anzahl der Cyber-Attacken verdoppelt – und das in allen Bereichen. Ein großer Teil davon hat den Zweck, an Daten zu gelangen und diese dann weiterzuverkaufen. Deshalb hat die Absicherung der IT-Systeme gegen Angriffe von außen eine herausragende Bedeutung.

Dafür ist es erforderlich, zum einen eine ausfallsichere Architektur mit mehreren Rechenzentren aufzubauen, um etwa nach einem Hackerangriff keine Ausfallzeiten zu riskieren. Zum anderen ist dazu auch eine ständige 24/7-Überwachung aller Events gefordert, um drohende Gefahren frühzeitig erkennen und abwehren zu können. Denn das Risiko ist für einen Auftragsfertiger durch die größere Anzahl von Datenschnittstellen nach außen (zu Kunden, zu Lieferanten) besonders hoch.


DATENSICHERHEIT DURCH DATENTRENNUNG UND SEGREGATION OF DUTIES 

Für eine gute Kooperation mit den Kunden ist selbstverständlich eine absolute Datensicherheit erforderlich. Schließlich stellt der Fahrzeughersteller dem Fertigungspartner sensible Daten zur Verfügung, bei denen sichergestellt sein muss, dass sie nicht in falsche Hände geraten – etwa in die eines anderen Fahrzeugherstellers. Diese Datensicherheit ist bereits am Anfang erforderlich, also bei der Angebotsbeschreibung. Sie beginnt mit der strikten Trennung der Daten für unterschiedliche Projekte.

Datenberechtigungen, Daten-Access: Die Zugangsberechtigungen muss man strikt nach Notwendigkeit des Datenzugangs separieren. Man spricht hier von der Segregation of Duties (SOD), also der Abtrennung von Aufgaben. Wer macht was, wer nimmt welche Rollen wahr, wer hat welche IT-Berechtigungen? Diese Fragen entscheidet darüber, welche Mitarbeitenden zu welchen Daten welcher Kunden Zugang hat. Die Rollen müssen unterschiedlich besetzt sein: Beispielsweise darf im Finance-Bereich jemand, der einen Lieferanten angelegt hat, nicht auch für die Freigabe der Rechnungen zuständig sein.

Dabei überwachen Alarmsysteme die Aufgabentrennung und geben gegebenenfalls Alarm, wenn hier Überschneidungen erkannt werden. Das ist das Datenmanagement. Die Technik dahinter umfasset klassischen Sicherheitssysteme wie Verschlüsselung, Firewallsysteme und ähnliche Vorkehrungen. Darüber hinaus ist Segregation of Duties auch Bestandteil vieler IT-Sicherheitsstandards wie ISO 27001 und TISAX.

Das Hauptrisiko ist immer der Mensch – jede Person macht Fehler und braucht Schulungen. Werden die Daten strikt getrennt gehalten, lässt sich dieses Risiko von vornherein verhindern. Das betrifft einen Auftragsfertiger genauso wie einen Zulieferer, der die Daten seiner Kunden ebenfalls voneinander getrennt halten muss. Oder auch die eigene IT der Fahrzeughersteller, in der sorgfältige „Datenhygiene“ unabdingbar ist. Hier gibt es aber allgemeingültige Standards, die in entsprechenden Zertifizierungen niedergelegt sind, die erfüllt und regelmäßig in Audits überprüft werden müssen. Gebündelt werden die Aktivitäten zur Daten- und Informationssicherheit im Security Operation Center (SOC). Dabei handelt es sich um eine zentrale Stelle, die ständig die Systeme überwacht und bei Auffälligkeiten automatisiert Aktionen veranlasst. 

 

 

DATENERFASSUNG UND -ANALYSE VERMEIDEN PROBLEME SCHON IM VORAUS

Die Erhebung und Vernetzung von möglichst vielen Daten aus der Fertigung ermöglicht, sich abzeichnende Störungen schon vorab zu erkennen. Weil die einzelnen Maschinen und Einrichtungen bereits selbständig miteinander kommunizieren – in zunehmendem Maße KI-gestützt – kann dabei noch schneller reagiert und gegengesteuert werden. Das Schlagwort Internet of Things (IoT) ist hier schon Realität.

Das bedeutet, dass potenziellen Störungen im Fertigungsablauf frühzeitig aktiv vorgebeugt und ihr Auftreten verhindert werden kann. Dadurch wird vermieden, nur reaktiv Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn das Problem bereits aufgetreten ist.

Auf diese Weise kann auch die Fertigungsqualität schon während der Produktion verbessert werden, etwa indem sich abzeichnende Abweichungen, beispielsweise in der Maßhaltigkeit bei der Karosseriefertigung, schon in der Tendenz erkannt und beseitigt werden, ehe diese am Endprodukt sichtbar werden.


IT-SYSTEME DES AUFTRAGSFERTIGERS MÜSSEN BESSER SEIN ALS IM KUNDEN-WERK 

Die Herausforderungen an die IT sind bei einem Auftragsfertiger höher als bei eigenen Werken des Fahrzeugherstellers. Denn er muss alle bedienen können; er muss schneller, flexibler und unterm Strich günstiger sein. Ein Fahrzeughersteller wird nur dann outsourcen, wenn das kostenseitige oder andere Vorteile verspricht. Ein gut gerüsteter Fertigungspartner wie Magna kann beispielsweise bis zum Ende noch Änderungen ins IT-System einspielen. Das können die meisten Hersteller auf ihren eigenen Fertigungslinien nicht. 

 

SCHLAGWORT INDUSTRIE 4.0: BEFINDEN WIR UNS WIRKLICH IM ZEITALTER DER VIERTEN INDUSTRIELLEN REVOLUTION?

Die Anforderung, Prozesse zu optimieren, ist seit Jahrzehnten da. Nur sind heute auch die Instrumente, die Werkzeuge besser entwickelt. KI, also künstliche Intelligenz, ändert hier nicht von heute auf morgen Grundsätzliches. Aber man hat heute besseren Zugriff auf Daten, erhält innerhalb von Sekunden die benötigten Auswertungen. Es geht in jeder Industrie letztlich darum, die jetzt verfügbaren Technologien und Möglichkeiten optimal zu nutzen. So können alle Systeme und alle Maschinen miteinander vernetzt werden. Diese Möglichkeit gab es in dieser Form vor einigen Jahren noch nicht.

Anders als bei einer Revolution kommen die Veränderungen der umfassenden Digitalisierung der industriellen Produktion aber nicht von einem Tag auf den anderen. Es handelt sich eher um eine kontinuierliche Veränderung. Mit immer besserer Ausnutzung der Daten werden Prozesse gesteuert und fortlaufend verbessert. Etwa im Interesse besserer Effizienz, höherer Automatisierung – letztlich zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Insofern ist auch der Begriff Digitalisierung nur ein Schlagwort. Es geht darum, die Prozesse, hier in der Fertigung, besser zu machen – und auch Prozesse sind letztlich Daten. 

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Manfred.Ziegler

Manfred Ziegler

Manfred Ziegler ist seit März 2023 als Senior Director für die weltweite IT in der Gesamtfahrzeuggruppe von Magna verantwortlich. Nach seinem Ingenieursstudium der Fachrichtung Nachrichtentechnik und Elektronik verbrachte er seine ersten Berufsjahre in der Halbleiterindustrie im Bereich Entwicklung. Daraufhin begann seine Karriere in der Automobilindustrie bei der damaligen Steyr-Daimler-Puch in Graz, wo er die IT-Infrastruktur und den IT-Betrieb verantwortete. Weitere Stationen waren eine Tätigkeit bei einem deutschen Fahrzeughersteller, wo er für unterschiedliche IT-Bereiche verantwortlich war. Es folgten Stationen bei zwei großen internationalen Automobil-Zulieferern, wo Manfred Ziegler unter anderem IT-Systeme in über 20 Werken weltweit strukturiert und aufgebaut hat, ehe er die Leitung der globalen IT bei Magna in Graz übernahm.

 

 

 

 

 

 

 

 

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