"Alle Fahrzeuge können von aktiver Aerodynamic profitieren"

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Interview mit Braendon Lindberg in ATZ Automotive

Featured in ATZ Automotive

Interviewed by: Frank Jung

Zur Verbesserung des aerodynamischen Profils hat Magna Systeme entwickelt, die mit dem Fahrzeug elektronisch verbunden sind und Informationen darüber erhalten, wann und wie sie sich bewegen müssen. Braendon Lindberg, Technischer Leiter der globalen Produktlinie Aktive Aerodynamik bei Magna Exteriors, erläutert deren Funktionsweise und Vorteile.

Braendon Lindberg with display of aerodynamic grille and front end module

ATZ _ Herr Lindberg, bitte nehmen Sie uns auf eine kleine Zeitreise mit: Magna und Aero­dynamik – welche Eckdaten und Errungen­schaften gab es da in der Vergangenheit?

LINDBERG _ Magna entwickelt seit 2010 aktive aerodynamische Systeme. Unser erstes aktives Kühlluftregelungssystem (Active Grille Shutter, AGS) wurde An­fang 2012 mit dem Dodge Dart in Pro­duktion genommen. 2015 haben wir unseren ersten sichtbaren aktiven Küh­lergrill mit lackierten Verschlussklappen (Visible Active Grille Shutter, V­AGS) in der Mercedes­Benz E­Klasse vorgestellt. Seitdem sind wir in allen Regionen der Welt gewachsen und produzieren über drei Millionen Systeme pro Jahr. Im Januar 2018 haben wir als Erster einen aktiven Luftabweiser (Active Air Deflec­tor) für den RAM 1500 in hoher Stück­zahl auf den Markt gebracht. Magna ver­fügt über eine ganze Reihe von Produk­ten, die derzeit für viele Fahrzeugtypen in Vorbereitung sind. Bis heute haben Magna­Produkte auf der Straße Millionen von Tonnen CO2 eingespart. Wir setzen uns für die Umwelt ein, und aktive Aero­dynamik hilft unseren Kunden, ihren CO2­Fußabdruck zu verringern.

"Aerodynamik ist kompliziert, und wir verwenden jedes uns zur Verfügung stehende Mittel"

Wie unterscheidet sich die Aerodynamik eines Elektro­Pkw von der eines Autos mit Verbrennungsmotor?

Grundsätzlich ist die Aerodynamik bei jedem Fahrzeug gleich, unabhängig vom Antriebstyp. Die Aerodynamik von Elek­trofahrzeugen liegt jedoch verstärkt im Fokus. Der aerodynamische Strömungs­widerstand des Fahrzeugs auf der Straße trägt sehr stark zum Energiebedarf bei. Wenn wir somit Batterieenergie sparen können, indem wir ein Fahrzeug effizi­enter auf der Straße fahren lassen, kann diese Energie später verwendet werden, um die Reichweite des Fahrzeugs zu erhöhen. Es gibt jeweils einen etwas anderen Ansatz, um Produkte zu iden­tifizieren, die für einen Fahrzeugtyp am besten funktionieren. Beispielsweise benötigt einerseits ein Elektrofahrzeug mit einem von Natur aus ebenen, flachen Unterboden möglicherweise keinen akti­ven Luftabweiser, ein Verbrennungs­motor­Fahrzeug mit Hochboden jedoch schon. Andererseits würden aktive Vor­derradluftabweiser bei einem SUV mit breiten Reifen einen wesentlichen Vorteil bringen. Jede spezielle Anwendung kann ein Aero­Paket haben, das für die Form des Fahrzeugs optimiert ist.

Seit Jahren nun schon sind SUVs in Mode, die der Windschlüpfrigkeit eher im Wege ste­hen als von Nutzen sind. Mit welchen Hilfs­systemen lässt sich deren cW­Wert verbes­sern, und gilt dies auch für Kastenwagen?

Wir fragen gerne: „Warum Kompro­misse eingehen?“ Ein Hauptvorteil eines aktiven Systems besteht darin, dass das Design und häufig auch der Verwendungszweck des Fahrzeugs vom aerodynamischen Profil entkoppelt werden kann, wenn man die Form des Fahrzeugs während der Fahrt verän­dern kann. Das genau machen wir mit unseren aktiven aerodynamischen Sys­temen. Ein stehendes Fahrzeug kann immer noch die Designelemente oder Designmerkmale aufweisen, die Sie erwähnt haben, und sich trotzdem bei bestimmten Fahrbedingungen hin zu einem effizienteren aerodynamischeren Profil verändern. Alle Fahrzeuge kön­nen von aktiver Aerodynamik profitieren.

Wenn Sie Ihre Arbeit einschätzen müssten: Wie viele Prozent Verbesserung kommen aus der CFD­Analyse und wie viel aus dem realen Versuch im Windkanal?

Aerodynamik ist kompliziert, und wir verwenden jedes uns zur Verfügung ste­hende Mittel. Trotzdem ist nichts mit Tests in der Praxis zu vergleichen. Die Simulation mit CFD wird häufig zu Be­ginn des Produktentwicklungsprozesses herangezogen, um eine Tendenz der Vor­teile aufzuzeigen. Aufgrund unserer Er­fahrung bei der Entwicklung von aktiven aerodynamischen Produkten wenden wir dieses Wissen bei der Planung unserer Tests an. Magna hat einen sehr effektiven Ansatz zur Bewertung der Systeme im Windkanal, und wir nutzen diese Zeit, um unsere Produkte zu optimieren.

Dies gilt heute. Wie sieht es in fünf und in 15 Jahren aus?

Da Simulationsprogramme weniger res­sourcenintensiv sind und ihre Genauig­keit zunimmt, werden wir uns stärker auf sie verlassen. Wir sehen jedoch keine große Veränderung in der Art und Wei­se, wie wir unsere Produkte entwickeln. Es ist aber so, dass der Bedarf an aktiven Systemen steigt, um die zukünftigen Emissionsanforderungen zu erfüllen.

Wind um die Karosserie herum erzeugt auch Geräusche. Wie wichtig ist das Thema NVH bei Ihren Entwicklungen?

Obwohl Windgeräusche ein sehr wichti­ges Thema sind, liegt unser Fokus auf der Reduzierung der Fahrzeugemissio­nen und damit auf der Erhöhung der Reichweite und der Kraftstoffeinsparung. In der Regel wird während der Entwick­lung jede Art von NVH­Eigenschaft wie das Pfeifen analysiert und behan­delt. Wir können dann möglicherweise NVH reduzieren, indem wir den Luft­strom glätten.

Das Stichwort für Ihre jüngsten Entwicklun­gen ist „aktiv“. Worin liegt der Unterschied zu früher verbauten Systemen?

Der Hauptunterschied besteht darin, dass wir die äußere Form des Fahrzeugs verändern können. Dazu bewegen wir Oberflächen, um das aerodynamische Profil zu optimieren. Dies bedeutet nor­malerweise, dass ein intelligenter Aktu­ator mit der Oberfläche verbunden ist. Diese Aktuatoren erhalten Informatio­nen darüber, wann und wie sie sich bewegen müssen, um das aerodynami­sche Profil zu optimieren. Da unsere Produkte aktiv sind, können wir unter gewissen Bedingungen in bestimmte Räume eindringen, in die ein passives Produkt nicht hineinragen darf. Zum Beispiel kann unser Active Air Deflector bei höheren Geschwindigkeiten näher an der Fahrbahnoberfläche eingesetzt werden, was für feste Bauteile aufgrund der Anforderungen an die Bordsteinhöhe und den Rampenwinkel nicht möglich ist.

"Der Bedarf an aktiven Systemen steigt, um die zukünftigen Emissionsanforderungen zu erfüllen"

Beginnen wir mit dem aktiven Schließ­system für den Kühlergrill. Wie funktioniert dies, und wie gelingt hier der sicher notwen­dige Spagat zwischen Thermomanagement und Aerodynamik?

Ein Active Grille Shutter öffnet und schließt je nach Fahrzeuganforderun­gen. Im geöffneten Zustand wird der Luftstrom durch die Kühlergrillöffnung geleitet, um die Kühlung zu gewähr­leisten. Wenn das Fahrzeug nicht ge­kühlt werden muss, schließt dieses Kühlluftregelungssystem und optimiert den Luftstrom um das Fahrzeug herum. Ein aktives System ermöglicht somit ein Gleichgewicht zwischen thermi­schen und aerodynamischen Anforderungen.

Wie sieht es mit dem aktiven Luftabweiser und dem Unterboden­Paneel aus? Sind diese Bauteile dem zunehmenden Erfolg von SUVs geschuldet?

Das aktive Unterboden­Paneel ist auf­grund der Führung des Luftstroms auf Niedrigboden­Pkw ausgerichtet. Für SUVs und Hochboden­Vans oder Trans­porter sind Produkte wie unsere aktiven Vorderradluftabweiser für die Führung des vorderen Luftstroms beliebt, wäh­rend aktive hintere Diffusoren und aktive Spoiler den Luftstrom am Heck des Fahrzeugs beeinflussen.

Erläutern Sie uns bitte die Funktionsweise des aktiven Vorderrad­Abweisers und des Heckdiffusors?

Beide Produkte operieren, um das gleiche Ziel zu erreichen, indem sie nämlich dem Fahrzeug eine aerodynamische Verbesse­rung liefern. Die beiden Produkte unter­scheiden sich hinsichtlich ihrer Position am Fahrzeug. Die aktiven Vorderradluft­abweiser helfen dabei, den Luftstrom um die Vorderreifen herum zu führen. Der aktive Heckdiffusor nimmt den Luft­strom unter dem Fahrzeug auf und leitet ihn um, damit der Luftstrom direkt hinter dem Heck des Fahrzeugs optimiert wer­den kann. Wie Sie sich vorstellen kön­nen, gibt es im SUV viele potenzielle aerodynamische Vorteile.

Und der aktive Heckspoiler? Wird dieser ausschließlich bei Sportwagen zum Einsatz kommen?

Der aktive Spoiler eignet sich am bes­ten für Limousinen als Gepäckraum­deckelspoiler und für SUVs als Heck­klappenspoiler. Aktive Spoiler bei Sportwagen sind in der Regel Gepäck­raumdeckelspoiler, die darauf abzielen, das Fahrverhalten zu verbessern, das heißt, sie konzentrieren sich auf die Änderung des Abtriebs oder des Auf­triebs des Fahrzeugs. Die von uns ent­wickelten aktiven Spoiler fokussieren sich auf die Reduzierung des Luftwi­derstandsbeiwerts, was zu einem ver­besserten Kraftstoffverbrauch und geringeren Emissionen führt. Bei Elekt­rofahrzeugen zum Beispiel liegt der Schwerpunkt auf der Erhöhung der Reichweite.

Welche Kraftstoff­ und CO2­-Einsparungen bringen all diese Bestandteile im Einzelnen?

Je nach Produkt und Fahrzeug kann indi­viduell eine Kraftstoffeinsparung von 0,06 bis 0,37 l/100 km erzielt werden. Wenn Produkte kombiniert werden, können sich dadurch die Einsparungen erhöhen.

Lohnen sie sich auch unter dem Strich, also steht der Einsatz der Bauteile noch in ver­tretbaren Verhältnis zum zusätzlich notwen­digen Material und damit Gewicht? Spielt das Thema Nachhaltigkeit durch einen sparsamen Ressourcenverbrauch auch hier eine Rolle?

Dies ist eine Frage, die wir oft bekom­men, und die Antwort ist tatsächlich sehr überraschend. Um die gleichen Kraftstoffeinsparungen zu erzielen, die viele unserer aktiven Systeme erzielen können, müssten Sie bei bestimmten Fahrzeugen die Masse um bis zu 50 kg reduzieren. Im Vergleich dazu wiegen unsere Systeme nicht annähernd so viel. Der allgemeine Nachhaltigkeitsvorteil von aktiver Aerodynamik ist enorm.

Herr Lindberg, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Braendon Lindberg with display of aerodynamic grille and front end module
Photo of Braendon Lindberg

Braendon Lindberg

Braendon Lindberg (Jahrgang 1983) ist Technischer Leiter der globalen Produktlinie Aktive Aerodynamik bei Magna Exteriors in Troy (Michigan, USA). In dieser Position ist er seit Januar 2018 verantwortlich für die Entwicklung von aerodynamischen Technologien und Innovationen zur Unterstützung der Magna-Kunden weltweit. Er schloss sein Studium 2011 an der Penn State University Behrend in Erie (Pennsylvania, USA) mit einem Diplom in Maschinenbau ab. Lindberg verfügt über neun Jahre Management- und Automobilerfahrung in den Bereichen Produktentwicklung, Verfahrenstechnik, elektromechanische Betätigung, Kunststoffspritzverarbeitung sowie in der Antriebsstrang- und Exterieurentwicklung. Er hat in verschiedenen Ländern gelebt und gearbeitet, wobei er die meiste Zeit in den Vereinigten Staaten und in Deutschland verbracht hat.