
Die Bedeutung der IT-Infrastruktur bei der Fahrzeugentwicklung
- Christian Platzer
- Juli 23, 2022
- 4 Min. Lesezeit
IT-Infrastruktur ist nicht das erste Schlagwort, das mit den Anforderungen beim Aufbau einer Automobilmarke in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich gibt es jedoch keinen einzigen Faktor, der für die Effizienz von Technik, Produktion und Geschäftsprozessen wichtiger ist als die technologische Infrastruktur und die Anwendungen, die unter diesen Prozessen laufen. Die IT ist das wichtigste und vielseitigste Werkzeug, das einem Fahrzeug-Hersteller zur Verfügung steht, und wenn sie richtig eingesetzt wird, kann sie die Leistung des Nutzers auf dem Markt erheblich steigern.
Dieser Artikel geht auf die Rolle der IT in der Automobilproduktion ein. Er gibt einen kurzen Überblick über aktuelle Trends und zeigt auf, wie eine effiziente und intelligente Umsetzung den Markterfolg erheblich verbessern kann. Außerdem werden die drei größten Herausforderungen beim Aufbau einer IT-Landschaft und deren Lösung aufgezeigt. Vorab sei jedoch klargestellt, dass IT-Infrastruktur nicht die E/E-Architektur (Elektrik/Elektronik) und die im Fahrzeug selbst implementierte Software meint, sondern all jene Anwendungen, die für einen reibungslosen Fahrzeugherstellungsprozess erforderlich sind.
Neueinsteiger, die also auf der Suche nach effizienten Möglichkeiten sind, ihr Auto ohne Qualitätseinbußen und ohne großen Zeit- und Kostenaufwand umzusetzen, finden hier ein paar Grundlagen, die ihnen den Markteinstieg erheblich erleichtern.
EINE EINFÜHRUNG IN DIE FAHRZEUG-IT VON HEUTE
Seit den letzten Jahren steht in der Automobilwelt alles auf Veränderung: Die Fahrzeugproduktion verlagert sich zunehmend auf Elektrofahrzeuge und verlangt einen hohen Grad an Spezialisierung. Auch industrielle Produktionsprozesse verändern sich grundlegend. Das Konzept der vierten industriellen Revolution (Industrie 4.0) bezieht sich auf ebendiesen Wandel. Neue Technologien – von Cloud Computing über künstliche Intelligenz bis hin zu Extended Reality (XR) und dem Internet der Dinge (Internet of Things – IoT) – führen zu einem wesentlich schnelleren Datenaustausch, kosteneffizienten Entwicklungs-, Produktions- und Validierungsprozessen sowie zu einem sehr hohen Automatisierungsgrad. All diese Technologien gipfeln in einer sogenannten Smart Factory, in der Objekte und Systeme digital und in Echtzeit kommunizieren und so den Fertigungsprozess durch kontinuierliche datenbasierte Auswertung für eine schnellere, agilere und effizientere Produktion optimieren.
Eine Smart Factory erfordert allerdings eine hochentwickelte und komplexe IT-Infrastruktur, die alle Bereiche der Fabrikorganisation durchdringt und jeden Prozess, jede Maschine und jeden Mitarbeiter miteinander verbindet. Einfach ausgedrückt: Die IT kann nicht mehr als singuläre Organisationseinheit betrachtet werden, sondern ist ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Projektinfrastruktur und damit eine notwendige und nützliche Voraussetzung für den Fahrzeugbau im 21. Jahrhundert.
IT ZUR STEIGERUNG DES MARKTERFOLGES
Vor diesem Hintergrund ist die IT ein wesentlicher Faktor zur Steigerung der Marktleistung eines Unternehmens. Fehler und Risiken bei Entwicklungs- und Produktionsprozessen werden schneller erkannt und behoben, wenn Hilfsprozesse virtuell abgebildet und gepflegt werden. Auch die digitale Organisation und Speicherung von Daten ist ihrem papierlastigen Pendant weit überlegen. Prozesse sind generell schneller und effizienter, da einzelne Aufträge viel flexibler gesteuert werden können. Und natürlich hat das virtuelle Prototyping weitreichende Auswirkungen auf den Gesamtkostenbedarf eines Projektes, da Fahrzeuge theoretisch komplett am Computer getestet und validiert werden können.
Das Konzept der digitalen Simulation hört jedoch nicht bei der Fahrzeugentwicklung auf, geschweige denn bei der Fahrzeugerprobung und -validierung. Die gesamte Fertigungsanlage selbst kann digital gespeichert und zur Simulation von Anpassungen in Werkzeugen und Produktionsprozessen genutzt werden. Dieser „digitale Zwilling“ ermöglicht somit eine genaue Dokumentation des gesamten Fertigungsprozesses, von kleinen Batteriekomponenten bis hin zu ganzen Anlagen.
IT umfasst weit mehr als nur die Einsparung von Papier. Eine gut ausgebaute und vernetzte IT-Infrastruktur optimiert die Kommunikation und den Datentransfer, erhöht die Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens und senkt die Kosten sowohl in der Entwicklung als auch in der Produktion von Fahrzeugen und Anlagen auf einen Bruchteil ihrer nicht digitalen Gegenstücke. All dies ermöglicht eine hohe Genauigkeit bei der Entwicklung, Simulation und Prüfung.

HERAUSFORDERUNGEN BEIM AUFBAU EINER EFFIZIENTEN IT-INFRASTRUKTUR
IT im Fahrzeugbau umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungsbereiche, die für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit einer Produktionsanlage allesamt unverzichtbar sind. Für die Koordination der tausend kleineren und größeren Aufgaben, die bei der Produktion eines Gesamtfahrzeuges anfallen, spielt die IT eine tragende Rolle. Vor dem Aufbau einer IT-Infrastruktur gibt es allerdings verschiedene Herausforderungen, die bewältigt werden müssen.
Planung eines IT-System-Layouts
Auf der obersten Differenzierungsebene lassen sich Fahrzeug-IT-Systeme in Engineering- und Fertigungssysteme unterteilen. Engineering-Systeme erfüllen die Aufgaben, die für die Entwicklung des Fahrzeuges selbst notwendig sind. Dazu gehören
- das Software-Handling,
- das Team-Management (simultan über mehrere Zugriffspunkte erfolgend) sowie
- der Datenaustausch, die Autorisierung und die Sichtbarkeit.
Vor allem aber ermöglichen Engineering-Systeme ein funktionierendes Änderungsmanagement. Wenn sich eine Fahrzeugidee zu einem Projekt entwickelt, wird sie sich im Laufe des Prozesses erheblich verändern. Durch die Dokumentation und Abbildung von Änderungen im Projekt bleibt die Gesamtentwicklung des Projektes somit nachvollziehbar.
Fertigungssysteme hingegen befassen sich mit der Funktionalität der Produktionskette im Allgemeinen. Dazu gehört eine Software, die relevante Informationen in Echtzeit an Maschinen und Personal weiterleitet, um maximale Prozesseffizienz zu gewährleisten. Darüber hinaus erfordern alle Prozesse rund um die folgenden Bereiche jeweils eigene Softwarelösungen:
- Einkauf
- Buchhaltung
- Personalverwaltung
- Gebäudemanagement
Die Prozesskoordination in der Gesamtfahrzeugentwicklung ist eine komplexe Aufgabe, der nur mit guter strategischer Planung begegnet werden kann. Die IT sollte nicht als singuläre Aufgabe betrachtet werden, sondern als ein sich allmählich entwickelndes Teilsystem des gesamten Unternehmens. Der Aufbau der IT-Infrastruktur geht Hand in Hand mit der Geschäftsentwicklung und wird kontinuierlich erweitert, angepasst und optimiert. Wichtig dabei ist die Beantwortung der folgenden Fragen:
- Welche Anforderungen haben die jeweiligen Module des Unternehmens an seine IT-Infrastruktur? Wie verbessert diese die Effizienz des jeweiligen Prozesses, Moduls oder Systems?
- Wie sollen die jeweiligen Prozesse, Module und Systeme miteinander verbunden werden? Welche Informationen werden auf welche Weise ausgetauscht?
- Wie können die IT-Infrastruktur und die Anwendungen effizient gehalten werden? Welche Herausforderungen begegnen den Menschen, die mit den Systemen arbeiten, und wie können sie umgangen werden?
Die passenden Softwarelösungen
Jeder Fertigungsbetrieb hat unterschiedliche Anforderungen an seine IT-Infrastruktur. Ausschlaggebend dafür sind
- das genaue Geschäftsmodell des Unternehmens,
- die Komplexität der Fertigungstiefe,
- die interne Organisation und
- die Gestaltung der Produktionsprozesse sowie des produzierten Fahrzeuges.
Da es keine Einheitslösung für die Fahrzeug-IT gibt, erfordert jeder Business Case unterschiedliche Softwarelösungen. Diese sind von den Merkmalen, der Größe, dem Design, den Varianten und dem Produktionsumfang des jeweiligen Fahrzeuges abhängig. Bei der Auswahl der richtigen Software für die jeweilige Anwendung ist zu beachten,
- welche Funktionen die Software bieten sollte, um nützlich zu sein,
- wie wichtig diese Funktionen jeweils sind,
- ob die Software den Anforderungen der Anwender entspricht und
- wie viel Anpassung notwendig ist, bevor die Software eingesetzt werden kann.
Startups entwickeln ihre Softwaresysteme höchstwahrscheinlich nicht komplett selbst, sondern kaufen den größten Teil davon. Doch selbst wenn sie Tools kaufen, wird es notwendig sein, einige Anpassungen vorzunehmen, um den individuellen Anforderungen ihres Business Case gerecht zu werden. Beim Kauf von Software sollte ein Startup daher abwägen, inwieweit die standardisierten Funktionen die Aufgabe erfüllen und in welchen Aspekten Anpassungen oder möglicherweise Eigenentwicklungen sinnvoller sind. Glücklicherweise bietet fast jede bestehende Branchensoftware einen recht hohen Grad an Anpassungsmöglichkeiten.
Eine eigene unternehmensinterne Softwareentwicklung ist aber grundsätzlich nicht unmöglich. Auf diese Weise kann ein Startup die Software komplett an seine spezifischen Bedürfnisse anpassen und sicherstellen, dass alle Beteiligten sie ohne größere Probleme nutzen können. Allerdings erfordert die Entwicklung und Pflege einer maßgeschneiderten Software auch mehr Ressourcen und Zeit, die jedoch während der Konzeptphase möglicherweise nicht in ausreichendem Maß verfügbar sind.
Letztendlich empfiehlt es sich für ein Startup, dem Grundsatz „kaufen vor bauen“ zu folgen. Die Entwicklung individueller Systemlösungen ist zwar in bestimmten Aspekten vorteilhaft und manchmal notwendig, um eine vollständige Funktionsabdeckung zu gewährleisten, aber auch zeit- und kostenaufwendig. Sofern die Entwicklung einer individuellen Softwarelösung keinen definitiven Nutzen für das Startup bringt, ist es immer klüger, eine bestehende Software zu kaufen.
Die Verbindung einzelner Systeme zu einer großen IT-Infrastruktur
Integration ist der Schlüssel zu jeder funktionierenden IT-Infrastruktur. Systeme werden je nach Anforderungen ihres jeweiligen Einsatzgebietes ausgewählt, müssen aber in ihrer Gesamtheit ein kohärentes System bilden. Die IT hat die gigantische Aufgabe, all diese Funktionen zu optimieren und zu einem Gesamtsystem zu verbinden. Hinzu kommt, dass ein erfolgreiches Unternehmen im Laufe der Zeit mehr als eine Produktionsstätte besitzt und zahlreiche Fahrzeuge entwickelt, sodass eine Zusammenarbeit von mehreren internationalen Teams notwendig wird.
Bei der Planung von Systemen gibt es eine Doktrin, die ein Startup immer befolgen sollte: „Organize around Data.“ Unabhängig von der genauen Anwendung ist es am besten, ein solches Netz wie folgt zu organisieren: Halten Sie die Daten selbst getrennt von ihrer Anwendung, aber organisieren Sie sie um einen zentralen Knotenpunkt herum. Idealerweise werden die zahlreichen Datenströme über ein Stammdatensystem verwaltet, das als zentraler Brennpunkt der gesamten IT-Organisationsstruktur dient. Ähnlich wie ein Dirigent ein Musikensemble dirigiert, lenkt ein Stammdatensystem die Daten in einer Weise, die zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führt.
Es ist wichtig zu bedenken, dass maximale Effizienz nur in der Theorie erreicht werden kann. Die praktische Umsetzung geht notwendigerweise mit dem einen oder anderen Kompromiss einher. Nichtsdestotrotz ist eine zentrale Organisationsdrehscheibe der wichtigste Baustein, um die zahlreichen IT-Systeme der Fahrzeugbranche zu einer Gesamtstruktur zu vereinen.
Gewährleistung der Datensicherheit
Eine effiziente IT-Struktur bringt einige Sicherheitsfragen mit sich. Unabhängig davon, ob die Daten über einen Partner vor Ort oder über cloudbasierte Dienste gespeichert werden, ist ein Mangel an überprüfbaren Datensicherheitsstandards und -maßnahmen ein großes Risiko für alle Beteiligten.
Ein gutes Beispiel ist die Verwaltung der Zugriffsrechte. Natürlich müssen nicht alle Daten für alle Beteiligten zugänglich sein. Eine zu weitgehende oder gar fehlende Vergabe von Zugriffsrechten wirkt sich negativ auf Effizienz und klare Arbeitsstrukturen aus – vor allem aber erhöht sich das Risiko, dass unerwünschte Dritte an wichtige Informationen gelangen.
Grundsätzlich umfasst Datensicherheit drei Prinzipien:
- Vertraulichkeit: Daten sollten nur für Berechtigte zugänglich sein.
- Verfügbarkeit: Für Zugriffsberechtigte sollten Daten leicht zugänglich sein.
- Integrität: Die gesammelten Daten an sich sind vertrauenswürdig.
Glücklicherweise können sichere Datenspeicherungs- und -verteilungsnetze vergleichsweise einfach gewährleistet werden, da es zahlreiche regionale Datenschutz- und Sicherheitsrichtlinien gibt, die eine Software erfüllen muss. Magna verfügt beispielsweise über das international gültige ISO-2700x-Zertifikat sowie über das speziell für deutsche OEMs geforderte TISAX-Zertifikat.
ZUSAMMENFASSUNG
Für Automobilwerke, die zunehmend vernetzt, automatisiert, digitalisiert und „smart“ werden, gewinnt die IT immer mehr an Bedeutung. Die Rolle einer gut geplanten IT-Infrastruktur sollte für ein erfolgreiches und effizientes Unternehmen nicht unterschätzt werden. Erfolgt ihre Optimierung in Anlehnung an das Geschäftsmodell des Startups, kann dieses sein Geschäft durch produktive und effiziente Prozesse leichter differenzieren. Die schiere Komplexität der IT-Landschaft in der Automobilindustrie selbst, verbunden mit den Herausforderungen bei der Implementierung eines idealen Netzwerkes und der Gewährleistung der Datensicherheit, stellt neue Marktteilnehmer jedoch vor große Herausforderungen. Diese Herausforderungen können durch die Auftragsfertigung weitgehend entschärft werden, da große Teile der IT-Infrastruktur entweder bereits etabliert sind oder leichter aufgebaut werden können.
Letztendlich kann und sollte die IT nicht in Hinblick auf eine einzelne Aufgabe betrachtet werden. Die IT-Abteilung eines Unternehmens muss eng mit anderen Abteilungen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Software den Fertigungsprozess in der Automobilindustrie optimiert und ihm nicht im Weg steht. Die IT muss kontinuierlich weiterentwickelt werden, da sie nicht nur eine isolierte Infrastrukturebene darstellt, sondern einen unverzichtbaren Kernbestandteil einer erfolgreichen Automobilproduktion.
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Christian Platzer
Christian Platzer ist Global Director of Information Technology bei Magna Steyr. Er ist seit 25 Jahren bei Magna in verschiedenen Positionen in der Informationstechnologie tätig und seit 8 Jahren für die IT von Magna Steyr verantwortlich. Er hat einen Abschluss in Telematik (Telekommunikation und Informationstechnologie) sowie einen postgradualen Abschluss in Betriebswirtschaftslehre, Jus und Wirtschaft.
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