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Fahrzeugstyling vs. technische Herausforderungen

Ausstattung und Praktikabilität bilden unbestreitbar die „Kern“-Komponenten des Gesamtfahrzeugprojektes. Das Aussehen eines Fahrzeuges ist aber nicht weniger wichtig. Die meisten Fahrzeugvisionen beginnen mit einer „Vision“ des Fahrzeuges, d. h. einer Vorstellung von dessen Aussehen, Haptik, Akustik sowie anderen Aspekten. Die technischen Herausforderungen sollten allerdings schon früh im Design- und Stylingprozess bedacht werden.

Um einen positiven ersten und bleibenden Eindruck zu hinterlassen, muss das Erscheinungsbild bei Kund_innen, Investor_innen und dem Startup selbst ankommen. Die Disziplin, die sich mit dem Aussehen und dem Gefühl einer Fahrzeugvision, genauer gesagt mit der Kombination aus Form und Funktion auseinandersetzt, heißt Design. Design ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff Styling, der sich ausschließlich auf visuelle und ästhetische Aspekte bezieht, ungeachtet der Funktionalität.

In diesem Artikel wird das Fahrzeugdesign ausführlicher behandelt. Er setzt sich noch detaillierter mit dem Unterschied zwischen Styling und Design auseinander sowie mit der Frage, was „gutes“ Styling ausmacht und welche Elemente eines Fahrzeuges das Styling am meisten beeinflussen. Da das Styling ein fortlaufender Prozess ist, der sich über die Fahrzeugentwicklungsphase erstreckt, stehen Styling und die „technische“ Entwicklung eines Fahrzeuges in ständiger Wechselwirkung zueinander – ein Thema, das hier ebenfalls behandelt wird.

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EINE EINFÜHRUNG IN DAS FAHRZEUGSTYLING

Bevor das Styling erstellt werden kann, muss eine klare Vision des Fahrzeuges vorhanden sein. In den frühen Phasen eines Fahrzeugprojektes orientiert sich das Erscheinungsbild des Fahrzeuges stark an der ursprünglichen Vision der Schöpfer_innen. Da es zu diesem Zeitpunkt keine rechtlichen und technischen Einschränkungen gibt, ist das Showcar also die erste Version des Fahrzeuges, die der der Öffentlichkeit präsentiert wird – eine stark stilisierte und idealisierte Version des zukünftigen Fahrzeuges.

Showcars ​​antizipieren zukünftige Trends und sind nicht durch die heutigen Einschränkungen technischer, rechtlicher oder sonstiger Art limitiert. Insofern sind sie eher als Ausblick auf das Kommende zu sehen denn als Teil des eigentlichen Stylingprozesses während der Fahrzeugentwicklung.

Der Ablauf des Fahrzeugstylingprozesses

Der Stylingprozess selbst beginnt mit und läuft parallel zur Produktvisionsphase. Das Styling des Fahrzeuges kann zu Beginn der Konzeptphase sukzessive umgesetzt werden, wenn die ersten Ziele klar definiert sind.

Zunächst erstellen Designer_innen mehrere Themenskizzen, die ihre Vorstellungen des zukünftigen Fahrzeuges darstellen. Aus diesen Skizzen wählt das Managementteam die Schlüsselskizze aus, auf der die weitere Arbeit aufgebaut werden soll. Diese dient dann als Blueprint für das Styling des zukünftigen Fahrzeuges und beinhaltet bereits alle Features und ästhetischen Elemente desselben.


Vom Styling-Blueprint bis zum Styling-Freeze

In der Konzeptphase wird das Styling vom Papier auf den Computer übertragen, weiter spezifiziert und validiert. Das alles geschieht unter Berücksichtigung der komplexen Sollanforderungen an das Gesamtfahrzeug, dessen Systeme und Komponenten.

Der Detaillierungsgrad nimmt im Designprozess sukzessive zu: von den Gesamtproportionen über das Exterieur und Interieur des Fahrzeuges bis hin zu den kleinsten Details der einzelnen Fahrzeugmodule. Systematische Detaillösungen sind unerlässlich, um ein zufriedenstellendes Gesamterlebnis in Bezug auf Design zu erreichen.

Das „Ende“ der allgemeinen Stylingphase ist als „Styling Freeze“ bekannt. An dieser Stelle sollten nur Änderungen vorgenommen werden, die unbedingt erforderlich sind oder das Design nicht wesentlich beeinflussen. Dieser Meilenstein wird in der Regel etwa bei der Hälfte des Entwicklungsprozesses erreicht und ist für den planmäßigen Projektverlauf notwendig.

black white printing of vehicle parts

FAHRZEUGDESIGN ODER FAHRZEUGSTYLING – WAS IST DER UNTERSCHIED?

Fahrzeugstyling wird oft mit Fahrzeugdesign verwechselt. Generell ist Fahrzeugdesign ein interdisziplinärer Begriff, der sich mit verschiedenen Aspekten der Fahrzeugentwicklung überschneidet. So umfasst Design auch ingenieurtechnische Aufgaben, wie zum Beispiel den Fahrzeugbau. Styling ist jedoch weitgehend auf den Teil des gesamten Fahrzeugdesignprozesses beschränkt, der sich rein auf die Ästhetik konzentriert. Es ist allerdings wichtig zu bedenken, dass Definitionen zu diesen Begriffen variieren können, je nachdem, wer gefragt wird. Die folgenden Abschnitte erklären das Fahrzeugstyling so, wie es üblicherweise bei Magna verwendet wird.

Was genau ist Fahrzeugstyling?

Wie oben beschrieben, ist Styling im Wesentlichen der Prozess der Definition von Form und Aussehen eines Fahrzeuges. Der Fokus liegt rein auf Stil und Ästhetik. Die Kundenanforderungen an das Fahrzeug oder das gesamte Fahrerlebnis werden hingegen nicht berücksichtigt. Styling ist die Kunst, die „Seele“ eines Fahrzeuges ästhetisch einzufangen.

Zwei Dinge, die am häufigsten mit Styling in Verbindung gebracht werden, sind die Kernelemente der Designsprache des Fahrzeuges: die Innen- und Außenflächen sowie die gesamte Optik und Haptik. Es ist eine visuelle Sprache, die die zentralen Werte einer Marke widerspiegelt, die versucht, mit den Erwartungen der Zielgruppe in Verbindung zu treten.

Beim Styling geht es also nicht nur um die Außen- und Innenflächen eines Fahrzeuges oder seine Gesamtform. Es bezieht sich auch auf immaterielle Elemente, die das Fahrzeug zu dem machen, was es ist. Von der HMI (Human Machine Interface) des Fahrzeuges über die UI/UX (User Interface/User Experience) bis hin zur Akustik ist das Styling ein allgegenwärtiger Faktor in der Fahrzeugentwicklung.

Wer ist für das Styling verantwortlich?

Etablierte OEMs führen das Styling in der Regel intern durch, während Startups eher mit Partnern wie Designstudios zusammenarbeiten. Wenn Startups planen, von Anfang an eine interne Stylingabteilung aufzubauen, sollten sie nach erfahrenen Fachkräften in den Bereichen Zeichnen, 3D-Modellierung, Oberflächengestaltung, Farbgebung und UI/UX-Design suchen. Darüber hinaus können sich auch Projekterfahrungen als positiv für das Vorhaben erweisen.

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DIE TECHNISCHEN HERAUSFORDERUNGEN HINTER STYLINGVISIONEN

Manchmal wird angenommen, dass das Styling im Fahrzeugentwicklungsprozess eine untergeordnete Rolle spielt, d. h. der Funktion mehr Wichtigkeit zukommt als der Form. Styling ist jedoch nicht nur als ein einzelner, klar abgegrenzter Schritt im Entwicklungsprozess zu sehen. Tatsächlich handelt es sich um einen äußerst wichtigen Aspekt.

Genau wie die Ausstattungsliste ist das Styling ein wesentlicher Bestandteil eines Fahrzeuges. Beide müssen parallel entwickelt werden. Durch die zunehmende Standardisierung vieler technischer Fahrzeugmerkmale wird die Bedeutung des Designerlebnisses als Alleinstellungsmerkmal auf emotionaler Ebene immer wichtiger.

Allerdings gehen Styling und Funktionalität oft nicht Hand in Hand. Vom Showcar bis zum Serienfahrzeug durchlebt jedes Auto große, weitreichende Veränderungen. Dabei verliert es mitunter viel von seinem ursprünglich stilisierten Charakter, um gesetzlichen Normen, Herstellungskonventionen und technischen Anforderungen gerecht zu werden. Auf der anderen Seite versuchen Fahrzeugdesigner_innen, so nah wie möglich an der Schlüsselskizze zu bleiben. Das bedeutet, dass Ingenieur_innen und Designer_innen jeden Zentimeter des Fahrzeuges besprechen müssen, um Vision und Realität aufeinander abzustimmen.

Fahrzeugdesigner_innen arbeiten mit Emotionen, Fahrzeugingenieur_innen mit Zahlen

Eine häufige Konfliktquelle für Designer_innen ist, dass sie ihre visuellen Konzepte nicht in Zahlen fassen können, während numerische Daten das wichtigste Werkzeug von Ingenieur_innen sind. Da Kund_innenentscheidungen jedoch oft auf emotionaler Ebene getroffen werden, ist die Sichtweise der Designer_innen und deren Fokus auf zukünftige Zielgruppen entscheidend für den Markterfolg.

Dies sei am Beispiel von Fahrassistenzsystemen (ADAS) erklärt: Damit ein ADAS ordnungsgemäß funktioniert, sind zahlreiche externe Sensoren erforderlich. Von Sensoren zur Überwachung des toten Winkels bis hin zu Parkassistenten und Rundumsicht haben alle diese Sensoren eine feste Position an einem Fahrzeug. Das Verschieben nur eines Sensors könnte die Funktionalität des gesamten ADAS beeinträchtigen, ganz zu schweigen von den damit verbundenen sicherheitstechnischen und rechtlichen Auswirkungen.

Die Geheimzutat: Konsequente Entscheidungsfindung

Aus diesem Grund müssen Ingenieur_innen und Stylingteams eng zusammenarbeiten und, was noch wichtiger ist, sich in das jeweils andere Team hineinversetzen. Gute Stylingteams verfügen über hervorragende Kenntnisse der Fahrzeugentwicklung sowie der jeweiligen Anforderungen und Herausforderungen.

Auf der anderen Seite haben erfahrene Fahrzeugentwickler_innen ein scharfes Auge auf – oder zumindest ein offenes Ohr für – Designkonventionen und Ästhetik. Idealerweise gibt es einen_eine Studioingenieur_in, der_die als Vermittler_in zwischen den Fahrzeugdesign- und Entwicklungsteams fungiert.

Ein Minimum an nachträglichen Stylingänderungen

Ähnlich wie im gesamten Entwicklungsprozess sollten nachträgliche Änderungen an bereits vereinbarten Komponenten und Systemen auf ein absolutes Minimum beschränkt werden. Insbesondere Marktneueinsteiger sollten sich über die wichtigsten Eckpfeiler ihrer Fahrzeugvision im Klaren sein.

Selbst scheinbar kleine Änderungen am Design, seien es geringfügig größere Reifen oder eine minimale Änderung des Winkels der Windschutzscheibe, können Auswirkungen auf das Gesamtfahrzeug haben. Dies wiederum könnte sich auf den Zeitplan auswirken und zu Budgetüberschreitungen führen.

ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

Styling ist viel mehr als das Kreieren glamouröser Showcars​. Es ist die Kunst, die DNA eines Fahrzeuges einzufangen. Einzigartige Elemente, die den Charakter und die unverkennbare Persönlichkeit eines Fahrzeuges ausmachen, sind Schlüsselfaktoren, um den Ansprüchen der nächsten Kund_innengeneration gerecht zu werden.

Von der Form des Fahrzeuges über seine Außen- und Innenflächen, Farben, Materialien und das endgültige Erlebnis bis hin zu UI/UX und Akustik ist das Fahrzeugdesign eine anspruchsvolle Disziplin, die sich über alle Aspekte des Herstellungsprozesses erstreckt. Aus diesem Grund gerät das Styling oft in Konflikt mit den technischen Anforderungen des Fahrzeuges. Gute Designer_innen sollten die technischen Anforderungen an ein Fahrzeug kennen, während gute Ingenieur_innen auch auf die ästhetischen Anforderungen achten sollten.

Tatsächlich könnte man sagen, dass Styling die Disziplin ist, mit der sich die Vision eines Marktneueinsteigers am meisten beschäftigt. Sie ist ein Schlüsselfaktor für die erfolgreiche Umsetzung einer automobilen Vision. Das macht sie zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Fahrzeugentwicklungsprozesses.

Darüber hinaus werden die Anforderungen der Nutzer_innen an das Fahrgefühl und Fahrerlebnis mit zunehmender Autonomie der Autos weiter steigen. Infolgedessen werden künftige Generationen von Designer_innen vor der Herausforderung stehen, eine neue und bessere Welt der Mobilität zu schaffen. Kreativität, Innovation und visionäres Denken werden die Schlüsselfaktoren im zukünftigen Mobilitätsdesign sein.

 

 

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Andreas Wolfsgruber

Andreas Wolfsgruber ist seit 2000 Chefdesigner bei Magna Steyr. Er kam 1986 als Fahrzeugdesigner zu Magna, baute ab dem Jahr 2000 die internationale Stylingabteilung auf und engagiert sich auch stark in der Designausbildung an der FH Johanneum in Graz. Wolfsgruber hat einen Abschluss in Industriedesign von der Universität Linz.

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