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So setzen Sie Ihre Fahrzeugvision in Fahrzeugleistungsziele um

Bevor eine Fahrzeugvision in die Realität umgesetzt werden kann, müssen zunächst ihre einzelnen Systeme und Komponenten definiert werden. Dieser Prozess findet während der Konzeptphase statt – also in jener Phase, in der eine Fahrzeugidee in einen Katalog spezifischer Kennzahlen, Fahrzeugleistungsziele und -merkmale umgewandelt wird. In Kombination bilden sie die theoretische Grundlage für die Entwicklung des Fahrzeuges.

Dieser Artikel erläutert, wie Fahrzeugleistungsziele definiert werden. In diesem Prozess inbegriffen bzw. Grundlage dafür ist die Bestimmung des Kund_innenmarktprofiles durch die Auswahl von Benchmark-Fahrzeugen. Welche zentralen Herausforderungen während dieses Prozesses auftreten können, wird im Folgenden beschrieben.

GRUNDVORAUSSETZUNG #1: DIE ERSTELLUNG EINES KUNDENMARKTPROFILES (CMP)

Damit der Zielsetzungsprozess gestartet werden kann, muss zunächst ein Kundenmarktprofil (CMP – Customer Market Profile) erstellt werden. Dies ist Teil der Realisierungsphase und dient dazu, den Zielmarkt sowie die Zielkund_innen des geplanten Fahrzeuges sichtbar zu machen. Daher ist es wichtig, die Positionierung des Fahrzeuges zu spezifizieren und zu bestimmen, in welches Marktsegment das Startup eintreten möchte – oder besser gesagt, in welches es eintreten soll.


Das Erstellen eines CMP erfordert mehrere Eckdaten und Angaben:

  • Wie hoch ist das geplante Produktionsvolumen?
  • Welcher Preis ist für das Fahrzeug vorgesehen?
  • Welche Positionierungsstrategie wird verfolgt?
  • Welche Wettbewerber gibt es auf dem Markt?

Neben diesen marktbezogenen Angaben benötigt ein CMP auch das technische Produktportfolio des Fahrzeuges. Dieses enthält eine Reihe detaillierter technischer Informationen, wie z. B. die Leistungsstandards, Angaben zur Fahrzeugplattform, zum Motortyp bis hin zu strukturell wichtigen Komponenten des Fahrzeuges.

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WAS IST WICHTIGER: DAS PRODUKT ODER DER MARKT?

Eine wichtige Frage steht im Raum: Soll ein Fahrzeug an seinen Zielmarkt angepasst werden oder umgekehrt? Beide Ansätze haben ihre Berechtigung. Es ist klar, dass Schlüsselmerkmale einer Fahrzeugvision nicht geändert werden sollten, um sie an einen anderen Markt anzupassen. Während der Erstellung des CMP kann sich jedoch herausstellen, dass ein Fahrzeug, aus welchen Gründen auch immer, den beabsichtigten Zielmarkt nicht bedienen kann oder dass der Zielmarkt einfach nicht ausreicht, um zufriedenstellende Umsätze zu generieren.

Der CMP sollte in erster Linie reflektieren, was ein Startup mit seinem Fahrzeug am Markt erreichen will. Wenn das vorgestellte Fahrzeug den Offroad-SUV-Markt ansprechen soll, dann sollte es natürlich über entsprechende Funktionen, Geländegängigkeit, einen robusten Rahmen und ein zum Image passendes Styling verfügen. Wenn der Haupt-USP eines Fahrzeuges jedoch ein modernes, futuristisches Fahrerlebnis ist, dann sollte es natürlich weniger auf Nutzwertaspekte ausgerichtet sein, sondern vielmehr auf Faktoren wie ein futuristisches Styling, HMI (Human Machine Interface) oder Geschwindigkeit und Beschleunigung setzen.

Wenn ein Fahrzeug-Hersteller offen für die Anpassung von Funktionen ist, um einen größeren Markt anzusprechen, dann sollten diese unbedingt in einem frühen Stadium der Fahrzeugentwicklung in das Konzept eingearbeitet werden. Je später nämlich ein Fahrzeugkonzept angepasst wird, desto zeit- und kostenintensiver werden die Änderungen.

GRUNDVORAUSSETZUNG #2: BENCHMARKS SETZEN

Sind der Zielmarkt und damit auch die Zielkund_innen bekannt, ist der nächste Schritt die Wettbewerbsanalyse des jeweiligen Marktsegments. Dieser Prozess wird Benchmarking genannt und dient dazu, Startups einen Überblick über das aktuelle Angebot an Konkurrenzprodukten auf ihrem Zielmarkt zu geben. Andere Fahrzeuge innerhalb desselben Marktes werden basierend auf dem CMP ausgewählt und verglichen, um eine greifbare Messlatte zu schaffen, die das Startup zumindest erreichen, idealerweise überbieten muss.

Wenn beispielsweise ein Startup beabsichtigt, ein Elektrofahrzeug (BEV – Battery Electric Vehicle) für Langstreckenfahrer auf den Markt zu bringen, wäre ein natürlicher Maßstab das Fahrzeug mit der derzeit höchsten Reichweite. Ein beispielhaftes Benchmark-Fahrzeug dafür könnte der Anfang 2021 vorgestellte Mercedes Vision EQXX sein. Laut seinem Entwicklungsteam bietet der Mercedes Vision EQXX eine Reichweite von über 1.000 km (648 Meilen) mit einer einzigen Ladung, was ihn zu einem signifikanten Benchmark-Fahrzeug für diese Messgröße macht.1

 

WELCHE BENCHMARKS SOLLTEN GEWÄHLT WERDEN?

Bei der Auswahl von Benchmark-Fahrzeugen ist es ratsam, sich nicht nur auf eine einzelne Messgröße zu konzentrieren, sondern darauf, wie sich das herausstechendste Merkmal dieser Fahrzeuge in Relation zu all ihren anderen Features verhält. So erreicht beispielsweise der bereits erwähnte Mercedes Vision EQXX eine hohe Reichweite durch die Kombination von effizienter Aerodynamik und einem leistungsstarken Batteriepaket. Sein Preis liegt jedoch bei knapp 100.000 £ und bietet nur eine vergleichsweise durchschnittliche Beschleunigung. Während andere Fahrzeuge eine so hohe Reichweite möglicherweise nicht erreichen, können sie diesen Faktor durch verschiedene Messgrößen wie eine höhere Höchstgeschwindigkeit, bessere Beschleunigung oder eine überzeugende E/E-Architektur (Elektrik/Elektronik) mildern. Andere vergleichbare Fahrzeuge wiederum überzeugen sehr wohl durch ihre Reichweite, erzielen diese allerdings mit anderen Mitteln, beispielsweise mit einem anderen Batteriepack.

Letztlich ist es wichtig, bei der Suche nach geeigneten Benchmark-Fahrzeugen den Blick über den Tellerrand zu werfen. Ein gutes Benchmarking liefert Informationen zu einer Vielzahl von Faktoren und sollte Startups nicht nur die zu erreichenden Zahlen liefern, sondern auch unterschiedliche Ansätze, potenzielle Nachteile und praktikable Alternativen aufzeigen, die ihnen dabei helfen, auf ihrem Zielmarkt bestehen zu können. Folgende Faustregeln sind zu beachten:

  1. Wählen Sie immer mindestens drei Benchmark-Fahrzeuge – idealerweise mehr.
  2. Beziehen Sie immer den Marktführer mit ein, aber behalten Sie auch Alternativen im Auge.
  3. Vergleichen Sie immer alle relevanten Kennzahlen der Benchmark-Fahrzeuge.

 

 

DIE 100 WICHTIGSTEN FAHRZEUGLEISTUNGSZIELE

Mit den gewählten Fahrzeug-Benchmarks werden im nächsten Schritt die konkreten Ziele bestimmt, die das Fahrzeug erreichen soll. Fahrzeugleistungsziele sind die ersten „greifbaren“ Merkmale des zukünftigen Fahrzeuges, die während des Entwicklungs- und Produktionsprozesses festgelegt werden. In anderen Worten sind das jene Ziele, die ein Fahrzeug hinsichtlich seiner Systeme, Funktionen und Features am Ende nach Fertigstellung erfüllen muss. Und diese gehen natürlich ins Detail. Beispielsweise kann die Akustik eines Fahrzeuges durch viele Einzelfaktoren beeinflusst werden, die es vorab zu bedenken gilt: Von Außengeräuschen über Leerlauf- und Rollgeräusche des Motors und der Reifen bis hin zum Stottern des Fahrwerkes, Motors oder Antriebsstranges – solche Details müssen für die Festlegung der Fahrzeugleistungsziele berücksichtigt werden.

Eine vollständige Liste der Fahrzeugleistungsziele besteht aus mehreren Tausend Teilzielen (von denen die meisten bestimmten Komponenten zugeordnet sind). Dennoch beschränkt man sich zunächst darauf, nur etwa 100 Fahrzeugleistungsziele festzulegen (die Anzahl variiert je nach Entwicklungsstrategie), nämlich solche, die sich auf Merkmale mit besonderer Bedeutung für das gesamte Fahrzeug beziehen. Anschließend werden sie danach kategorisiert, wie relevant sie für die Benchmarks des Gesamtfahrzeuges sind. Ein SUV wird beispielsweise weniger Wert auf Höchstgeschwindigkeit legen als ein Sportwagen – dennoch müssen beide Autos einige geschwindigkeitsbezogene Ziele definieren, mit dem Unterschied, dass die Prioritäten des SUVs woanders liegen.

Der Prozess der Zieldefinition besteht aus mehreren Testrunden, die sowohl physisch (durch Erprobung von Benchmark-Fahrzeugen) als auch virtuell (über Simulationsmethoden) durchgeführt werden. Die wichtigsten Kennzahlen werden anhand der Wünsche des Startups ermittelt und im Rahmen der geplanten Fahrzeugentwicklung versucht zu erreichen.

Herausforderungen bei der Zieldefinition

Eine der größten Herausforderungen bei der Zieldefinition ist die systemübergreifende Abhängigkeit der zu erreichenden Merkmale. Jede noch so kleine Änderung der Zielvorgaben kann den weiteren Fahrzeugentwicklungsprozess beeinflussen.

Wenn zum Beispiel eine EV-Batteriezelle nicht wie ursprünglich geplant integriert werden kann (z. B. aus finanziellen Gründen), müssen stattdessen alternative Zellen verwendet werden. Diese beeinflussen jedoch nicht nur das Gesamtziel der Fahrzeugreichweite, sondern auch den allgemeinen Aufbau und die Komponenten der Autobatterie selbst. Sollte also zur Vermeidung eines Reichweitenverlustes eine größere Batterie implementiert werden müssen, hat das möglicherweise Auswirkungen auf das Layout der gesamten Fahrzeugplattform.

Obwohl viele Anpassungen ein Fahrzeug nicht in dem Maße beeinträchtigen, dass seine gesamte Struktur neu geplant werden muss, erhöhen sie dennoch die Kosten und die Markteinführungszeit. Sobald die Fahrzeugziele einmal vereinbart sind, können Änderungen nur noch durch ein gutes Change Management, d. h. unter Berücksichtigung von Timing, Kosten (für Entwicklung und Produktion) sowie Qualität und Performance vorgenommen werden.

 

ZUSAMMENFASSUNG

Die Umsetzung einer Fahrzeugvision in erste konkrete Fahrzeugleistungsziele besteht im Wesentlichen aus drei Schritten:

  1. Ein Kundenmarktprofil (CMP) wird erstellt. Es umfasst die Kennzahlen, die ein Fahrzeug erreichen muss, um auf seinem Zielmarkt Fuß zu fassen.
  2. Benchmarks werden aus der Auswahl aktueller Wettbewerber auf dem Markt (Benchmark-Fahrzeuge) abgeleitet, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie der CMP bedient werden kann.
  3. Schließlich werden Fahrzeugziele basierend auf dem CMP und den Benchmark-Werten formuliert. Zunächst beschränkt man sich dabei nur auf die wichtigsten Ziele für das Gesamtfahrzeug, erweitert und konkretisiert diese jedoch später in der Konzeptphase.

Die fertige erste Liste an Fahrzeugleistungszielen legt wichtige Projektmeilensteine fest und gibt somit die Richtung vor, in die sich die Fahrzeugsystementwicklung bewegen soll. Diese initialen Zielvorgaben müssen jedoch ständig erweitert sowie die technische und wirtschaftliche Zielerreichbarkeit laufend überprüft werden. Erst wenn das Projekt die vereinbarten Fahrzeugziele erreicht hat, kann es schlussendlich den Sprung in die Serienfahrzeugentwicklung schaffen. 

 

 

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Siegfried Krammer

Siegfried Krammer ist Projektleiter im Bereich Engineering. Bei Magna Steyr war er in mehreren Positionen tätig – zuletzt als global-technischer Bereichsleiter für die Gesamtfahrzeugentwicklung.

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