ENTWICKLUNG UND VALIDIERUNG IN SIMULATION UND PRÜFSTAND
Grundsätzlich sollte die Thermosystementwicklung spätestens in der Konzeptphase bei einer Fahrzeugneuentwicklung einsteigen: Sobald die Fahrzeugrundarchitektur, das Design und die Leistungsanforderungen definiert sind, kann man mit der Konzeptionierung des Thermosystems anfangen. Dann erfolgt die Entwicklung in drei Stufen, die physische Erprobung im Fahrzeug ist erst die letzte: In der Simulation hat man die meisten Freiheitsgrade, kann die relevanten Größen faktisch an jeder Stelle des Systems bestimmen. Auf dem Systemprüfstand kann nicht nur die Performance des Thermosystems, sondern insbesondere auch die Langzeitstabilität validiert werden. Dazu gehört unter anderem die Robustheit des Ölumlaufs im Kältekreis. Der Verdichter benötigt Öl zur Schmierung, das teilweise mit dem Kältemittel zirkuliert. Je komplexer das System, je länger die Leitungen, desto mehr Öl lagert sich unterwegs ab und fehlt dann im Verdichter. Daher ist es unabdingbar, dass solche und andere mögliche Herausforderungen vorab erkannt werden und das System bei Gefahr auch softwareseitig einschreitet.
Bei Neueinsteigern in den BEV-Markt kann MAGNA den gesamten Prozess der Fahrzeugentwicklung leisten; bei etablierten OEM ist es oft das Ziel, die vorhandenen Systemkonzepte aus bereits serienproduzierten Fahrzeugen auch für neue Modelle zu nutzen. Dennoch lässt sich natürlich ein vorhandenes System nicht 1:1 in ein anderes Fahrzeug integrieren; viele Komponenten müssen neu konstruiert und entwickelt werden – beispielsweise, wenn andere Anforderungen vorliegen; oder wenn abhängig vom Fahrzeugdesign der Bauraum im Fahrzeug eine grundlegend andere Anordnung nötig macht. Schon Änderungen der Leitungsführung erfordern dabei eine erneute Vorab-Validierung des Gesamtsystems, um späteren Problemen im Fahrzeugverbau vorzubeugen.
MAGNA hat zur umfassenden Validierung einen besonders ausgeklügelten Systemprüfstand mit zwei unabhängigen, aber koppelbaren Klimakammern entwickelt. Darauf lassen sich alle denkbaren Szenarien darstellen – auch die besonders herausfordernde Konstellation von hoher Umgebungstemperatur, stark abkühlungsbedürftiger Kabine und aktivem Schnellladen.
SCHNELLLADEN ALS GRÖSSTE HERAUSFORDERUNG FÜR DAS THERMOMANAGEMENT
Die Kombination von Schnellladung der Traktionsbatterie mit der Aufrechterhaltung des Kabinenkomforts ist generell die größte Herausforderung für die Auslegung des Thermosystems. Denn beim Schnellladen entwickelt die Batterie viel Wärme, die abtransportiert werden muss; gleichzeitig soll im Interesse des Insassenkomforts auch die Kabine weiter klimatisiert werden. Dabei müssen immer Kompromisse gemacht werden. Denn auch bei hoher Umgebungstemperatur durch optimale Batteriekühlung für maximale Ladegeschwindigkeit zu sorgen und gleichzeitig das aufgeheizte Fahrzeug herunter zu kühlen: das ließe sich nur mit einem insgesamt überdimensionierten Kältesystem kombinieren. So muss – je nach Anforderungen des Fahrzeugherstellers – ein Mittelweg gefunden und im Zweifelsfall entschieden werden: Soll lieber die Ladezeit verlängert werden oder der Passagier schwitzen? Diese Abwägung ist natürlich auch von der Zielgruppendefinition für das jeweilige Fahrzeug abhängig: Bei einem komfortbetonten Oberklassefahrzeug wird man weniger Abstriche beim Kabinenkomfort machen wollen; bei einem vergleichsweise preiswerten Fahrzeug nimmt man es eher hin, dass die Kabinentemperatur während des Schnellladens nicht immer aufrechterhalten werden kann.
Eine Herausforderung bei der Auslegung des Kältesystems ist die Kombination aus hohem Leistungsbedarf auf niedrigem Temperaturniveau: Für die Kabinenkühlung sind zwischen 2°C und 10°C Zuluft-Temperatur üblich; dabei stellt sich ein niedriger Druck und dadurch eine niedrige Dichte im Kältemittel ein – die Effizienz geht zurück, der Kältemittelkompressor muss größer dimensioniert sein oder wesentlich schneller drehen. Für die Batteriekühlung sind höhere Zieltemperaturen gefordert; durch den höheren Saugdruck kann das System hier effizienter arbeiten und mehr Leistung bringen. Prinzipiell wird die Regelung Im E-Auto durch die Verwendung von elektrisch angetriebenen Scroll-Verdichtern erleichtert. Deren Leistung kann direkt elektrisch über einen weiten Bereich geregelt werden – anders als bei den vom Riementrieb angetriebenen, nur über Ventile geregelten Kolbenverdichtern im Verbrennerfahrzeug. Außer der besseren Regelbarkeit haben Spiralverdichter den Vorzug leiseren Laufs – was gerade im BEV wichtig ist.
HEIZEN IM BEV – FAHREN WIR IN ZUKUNFT ALLE MIT WÄRMEPUMPE?
Die Kabinenheizung ist im BEV grundsätzlich kein Problem; die Schwierigkeit ist das effiziente Heizen. Auf den ersten Blick lässt sich die Heizung sehr einfach darstellen: Man hat einen Hochvolt-Luftheizer, der sofort Warmluft erzeugen kann. Das funktioniert im stehenden Fahrzeug ebenso wie im fahrenden und sorgt für ein Aufheizverhalten, das man in einem konventionellen Fahrzeug bisher nicht darstellen kann. Zudem hat man die Möglichkeit, durch Vorkonditionierung den maximalen Heizleistungsbedarf zu reduzieren.
Die Abwärme aus der Batterie wird in einfachen Systemen an die Umgebung abgeführt. Man kann diese Energie aber auch nutzen, indem man sie mit einer Wärmepumpe für die Heizung verwendet: Entweder wird mit dem Kondensator der Wärmepumpe ein Kühlmittelkreislauf erwärmt, der dann – wie beim Verbrennerfahrzeug – über einen Wärmetauscher die Kabinenzuluft aufheizt; oder man setzt einen Kältemittelkondensator ins Klimagerät und überträgt damit die Abwärme direkt.
Aus Sicht der Thermodynamik erscheint die Wärmepumpe als ideale Lösung zur Kabinenheizung, weil sie die ohnehin anfallende Abwärme des elektrischen Antriebstrangs nutzbar macht. In der Praxis wird sie aber nicht für jeden Anwendungsfall geeignet sein – zumindest nicht als einziges System. Erst wenn die Fahrtstrecken länger sind und das Fahrzeug seltener abgestellt wird, kann die Wärmepumpe ihren Vorteil vollständig entfalten. Bei kurzen Fahrtstrecken, etwa dem typischen Pendler-Einsatz, kann sie ihre theoretischen Wirkungsgrad-Vorteile nicht immer ausspielen; abhängig vom eingesetzten Wärmepumpensystem kann sich das langsamere Ansprechen negativ auf die Effizienz auswirken: Bis nutzbare Wärmeleistung zur Verfügung steht, müssen erst Bauteile und Fluide aufgeheizt werden; das dauert zum einen eine gewisse Zeit und erfordert zum anderen selbst schon Energie. Demgegenüber bringt der Hochvolt-Luftheizer seine Leistung praktisch unmittelbar nach dem Einschalten, er ist vom Thermokomfort her unschlagbar.
Als alleiniges System ist die Wärmepunkte also nicht der Königsweg, zumal die ansteigende Komplexität auch die Kosten nach oben treibt. Somit behält gerade in niedrigeren Fahrzeugklassen, der Hochvoltheizer in jedem Fall seine Daseinsberechtigung. Denn häufig werden diese Fahrzeuge nur für kurze Strecken eingesetzt. Am anderen Ende, bei Fahrzeugen im anspruchsvollen Marktsegment, kombiniert man beides: Den starken, wenn auch weniger effizienten Widerstandsheizer für das schnelle Erwärmen der Kabine; und die Wärmepumpe für längere Fahrten, um die Temperatur effizient mit minimiertem Energieaufwand zu halten. Der Endkunde merkt davon im Idealfall nichts, er registriert nur hohen thermischen Komfort und dennoch hohe Reichweite seines BEV.
ZWECKGERECHTE KONZEPTION ERSPART SPÄTERE NACHENTWICKLUNG
Ein umfassend kompetenter Entwicklungspartner kann die erforderliche Entwicklungszeit dann am besten nutzen und letztlich verkürzen, wenn er so frühzeitig wie möglich eingebunden wird. So kann zusammen mit dem OEM die für den jeweiligen Anwendungsfall optimale Konzeption und Auslegung des Thermomanagements gefunden werden. Generell versucht man dabei, die Variantenzahl zu reduzieren; sinnvoll definierte Anforderungen werden dazu beitragen, dass das System auf allen Zielmärkten zufriedenstellend funktioniert.
In manchen Fällen ist es sinnvoll, für ein Fahrzeug von vornherein parallel zwei Systeme zu entwickeln – eines mit und eines ohne Wärmepumpe für die Kabinenheizung. So kann nicht nur eine Differenzierung je nach Zielmarkt vorgenommen werden; das Vorhalten beider Versionen kann für den OEM auch wirtschaftlich vorteilhaft sein – etwa wenn die Wärmepumpe als Option angeboten werden kann, mit der sich zusätzlich Geld verdienen lässt. Und nicht zuletzt ist die Bereitstellung eines besonders energieeffizienten Thermosystems auch ein wichtiges, im Einzelfall vielleicht entscheidendes Verkaufsargument für das Endkundengeschäft.