Flexible Manufacturing solutions in the automotive industry

Schlüsselwort Flexibilität – Herausforderungen und Lösungen bei der Fahrzeugmontage in einer Multi-OEM-Fertigung

 

Der Fahrzeugmarkt ändert und segmentiert sich. Damit werden die jährlichen Stückzahlen pro Fahrzeugmodell geringer – und aufgrund der kürzeren Innovationszeiten auch die Baureihenlaufzeiten. Die Fertigung unterschiedlicher Modelle auf der gleichen Montagelinie kann ein Mittel sein, auch Fahrzeuge mit geringerer Stückzahlerwartung kosten- und zeiteffizient zu produzieren. Magna gehört zu den Pionieren auf diesem Gebiet.

 

UNTERSCHIEDLICHE PLATTFORMEN AUF EINER FERTIGUNGSSTRASSE

Der Begriff der Plattform ist im Wandel begriffen. Traditionell versteht man unter einer Plattform einen gemeinsamen technischen Unterbau, auf dem verschiedene Karosserieversionen realisiert werden können. Heutzutage unterscheidet man jedoch weiter zwischen der geometrischen Plattform, die beispielsweise die Karosseriebauweise und die Aufnahmepunkte auf der Fertigungsanlage für verschiedene Modelle gemeinsam hat, und der Elektrik-/Elektronik (E/E)-Plattform, die Gemeinsamkeiten im EOL (End-of-Line)-Testing aufweist.

Für die Integrierbarkeit unterschiedlicher Fahrzeugtypen in eine Linie ist dabei die geometrische Plattform der Ansatzpunkt. Wesentlich dabei ist das sogenannte Boxmaß, definiert aus Länge, Breite, Höhe und Gewicht des Fahrzeuges, sowie die Aufnahmepunkte am Unterboden: Wenn Fahrzeuge nach einer ersten Beurteilung in diese „Box“ passen, können diese auch in eine Montagelinie integriert werden.

Dabei hat Magna die Produktionsanlagen in der Fertigung dahingehend optimiert, unterschiedliche Fahrzeuge maximal flexibel aufzunehmen und durch den Montageprozess zu steuern. In ähnlicher Weise deckt die Prüftechnik in den beiden Multi-OEM-Montagelinien in Graz ein breites Spektrum an Kunden- und Systemanforderungen ab. So lassen sich auch unterschiedliche E/E-Plattformen verarbeiten – und weitere Plattformen mit relativ geringem Aufwand integrieren.

GRENZEN DER INTEGRATION: NICHT ALLES TECHNISCH MÖGLICHE IST WIRTSCHAFTLICH SINNVOLL

Grundsätzlich setzt, wie erwähnt, das Boxmaß die Limits, welche unterschiedlichen Plattformen in eine Linie integriert werden können. Dabei lassen sich Fahrzeuge, die sich in Abmessungen und Aufnahmepunkten zu stark voneinander unterscheiden, nur mit hohem Aufwand in eine Fördertechnik integrieren. Bei Magna in Graz unterscheiden sich die beiden Multi-OEM-Montagelinien deshalb auch in ihren Flexibilitätsausprägungen, was etwa Fördertechnik, Hochzeit und EOL-Testing angeht.

Nicht alles, was technisch machbar erscheint, ist aber auch wirtschaftlich sinnvoll.  Daher gibt es auch hinsichtlich Flexibilität Einschränkungen. Wenn Fahrzeuge sich im Fertigungsinhalt stark unterscheiden, führt dies zu großen Unterschieden bei der jeweils erforderlichen Fertigungszeit: Man spricht hier von Spreizung. Zusätzlich potenziert sich diese Spreizung mit der notwendigen Aufbaureihenfolge – wenn z.B. gleiche Fertigungsumfänge konzeptbedingt an komplett unterschiedlichen Stationen eingebaut werden müssen.

Ein weiterer Umstand betrifft die Teileversorgung, also die Logistik: Unterschiedliche Fahrzeuge benötigen unterschiedliche Teile an derselben Station. Die Anstellfläche ist allerdings auf die Stationslänge begrenzt; das macht zumeist aufwändige Vorsequenzierungen erforderlich. Bei Magna wurde mit dem automatischen Sequenzierlager aber auch dafür eine passende Lösung gefunden.

Nicht zu unterschätzen ist die Veränderung aktueller und zukünftiger Fahrzeuggenerationen hinsichtlich ihrer E/E-Architektur. E/E-Funktionen müssen durch den gesamten Montageprozess programmiert, kalibriert und getestet werden – auch hier sind unterschiedliche Hersteller-Spezifikationen zu berücksichtigen.

 

GETRENNT UND GEMEINSAM: DIE HOCHZEIT VON BODY UND ANTRIEBSSTRANG

Die Hochzeit – das Zusammenfügen von Antriebsstranggruppe und Karosserie – ist ein Kernprozess in der Montage. Je nach Antriebsart wird dieser Fertigungsschritt unterschiedlich durchgeführt; und je nach Hersteller gibt es unterschiedlichste Philosophien, die es auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen gilt.

Auch hier wird bei der Multi-OEM-Fertigung nach dem Grundsatz „so viel wie möglich gemeinsam – so viel wie nötig getrennt“ verfahren. Um möglichst flexibel zu sein, sind beispielsweise die Achsvormontagen für jede Art von Antrieb direkt der Hochzeit vorgelagert; Kernprozesse wie das Fügen von Antriebsstrang und Karosserie und Verschrauben erfolgen in der automatisierten Hochzeit. Abhängig vom Batteriekonzept kann das Fügen der Batterie(en) ebenfalls gleich in der Hochzeitsstation erfolgen – oder wenn nötig in einer separaten Station.

Im Prinzip ist die Fertigung von Fahrzeugen unterschiedlicher Grundarchitektur sogar auf einer Linie umsetzbar. Dies gilt beispielsweise für Body-on-Frame-Fahrzeuge und solche mit selbsttragender Karosserie. Natürlich gibt es dabei gewisse Einschränkungen, die durch das Boxmaß bestimmt werden – dieses definiert die Kompatibilität von Länge, Breite, Höhe, Gewicht und Aufnahmepunkten. Aber gerade bei dieser Kombination muss natürlich der wirtschaftliche Aspekt noch stärker beachtet werden.

MODULARITÄT ERMÖGLICHT GEMEINSAME MONTAGE TROTZ UNTERSCHIEDLICHER FERTIGUNGSTIEFE

Wenn die auf einer Linie montierten Fahrzeuge eine unterschiedliche Fertigungstiefe aufweisen, kann das zu einer unwirtschaftlichen Spreizung führen, weil die unterschiedlichen Montagumfänge unterschiedlich lange Arbeitszeiten erfordern.

Auch diese Herausforderung ist aber lösbar: Die Lösung liegt in einer modular gegliederten Montage. Bei Magna in Graz gibt es in den Montagehallen diverse Möglichkeiten der bandnahen Vormontage für die Fahrzeugtypen, bei denen die Fertigungstiefe höher ist. So halten diese zusätzlichen Arbeitsgänge den Arbeitsfluss an der Linie nicht auf.

Umgekehrt gibt es über die Werkslogistik auch die Möglichkeit, vormontiert zugelieferte Module an die Linie zu liefern. Je nach Wirtschaftlichkeit oder Kundenvorgaben lassen sich auch beide Lösungen in einer Linie abbilden, um so die Spreizung der Fertigungszeiten so weit wie möglich zu reduzieren.  

AUSLASTUNGSSICHERUNG DER FERTIGUNGSLINIE TROTZ STÜCKZAHLSCHWANKUNGEN

Bisweilen entwickeln sich die Verkäufe für ein bestimmtes Fahrzeugmodell anders, als es die Prognosen vorhergesehen hatten – die Produktion muss angepasst werden. Je nach Konstellation der Stückzahlentwicklung kann sich hier die gemeinsame Fertigung mehrerer Fahrzeugtypen auf einer Linie günstig auswirken: Wenn sich ein neues Modell besser am Markt entwickelt als geplant, dann ist die Volumenflexibilität ein immenser Vorteil bei der Skalierung.

Denn auch wenn das eine Herausforderung für Mensch und Maschine bedeutet, besteht hier grundsätzlich die Möglichkeit, das Produktionsprogramm flexibel und kurzfristig anzupassen und damit Volumenschwankungen der einzelnen Modelle auszugleichen. Treffen die Stückzahlschwankungen jedoch die gesamte Branche, potenzieren sich diese Schwankungen bei mehreren Produkten auf einer Linie – im positiven und auch negativen Sinn.

Ein großer Vorteil der Multi-OEM Fertigung bei Magna ist aber, dass es hier möglich ist, kurzfristig und mit reduziertem Invest zusätzliche Produkte in normalen Produktionsstillständen wie dem Werksurlaub in die Linie integrieren zu können – und somit zusätzliches Volumen und eine bessere Auslastung zu erreichen.

QUALIFIZIERTE MITARBEITER ALS VORAUSSETZUNG FÜR FLEXIBLE MULTI-OEM-FERTIGUNG

Die Multi-OEM-Fertigung unterschiedlicher Fahrzeuge auf einer Linie bedingt, dass vielfältigere und komplexere Arbeitsschritte pro Auto ausgeführt werden: Unterschiedliche Fahrzeuge benötigen unterschiedliche Materialen und Prozesse und somit unterschiedliche Handgriffe. Zusätzlich sind verschiedene Vorgaben und Qualitätsansprüche zu berücksichtigen.

Daher ist die Qualifikation der Mitarbeitenden ein wesentlicher Schlüssel speziell für eine erfolgreiche Multi-OEM Fertigung. Hier legt Magna großen Wert auf Schulungen und Trainings.

Der Einstieg wird den Mitarbeitenden erleichtert, indem sie zuerst in den Grundarbeitstechniken geschult werden, bevor sie an der Linie eingesetzt werden. Das Ziel dabei ist, sie langsam an die Produkte heranzuführen und ihnen nach und nach weitere Aufgaben anzuvertrauen.

DAS DIGITALE FAHRZEUG: FLASHEN UND EOL-TESTING UNTERSCHIEDLICHER E/E-PLATTFORMEN

Die rein mechanische Montage unterschiedlicher Fahrzeugtypen oder zumindest unterschiedlicher Fahrzeugvarianten auf einer Linie ist heute eine gelöste Herausforderung. Sie ist inzwischen auch in den eigenen Produktionsanlagen der Hersteller zunehmend üblich, auch wenn Magna als Vorreiter hier durch die jahrzehntelange Erfahrung noch immer besondere Kompetenz aufweist.

Mit der weiter zunehmenden Integration neuer digitaler, softwarebasierter Fahrzeugfunktionen gewinnt aber das Flashen der Datenspeicher im Fahrzeug – also das Aufspielen aktueller Softwarestände – mehr und mehr Bedeutung. Das Programmieren der Steuergeräte beginnt bereits früh im Montageprozess und zieht sich bis in den EOL-Bereich durch.

Hier arbeitet Magna Hand in Hand mit dem Hersteller und dessen Vorgaben im Prozess. Durch die flexible und erweiterbare Gestaltung unserer Prüftechnik lassen sich hier mehrere Kundensysteme auf einer Linie realisieren; es können aber auch für neue Kunden ohne Vorgabe – die sogenannten New Entrants – perfekte Lösungen für den Gesamtumfang entwickelt und angeboten werden.

Mit diesen Schlüsselkompetenzen hat Magna als Auftragsfertiger faktisch eine Alleinstellung: ob kürzere Modellzyklen, größere Variantenzahl, kleineren Stückzahlen sowie die ansteigende Bedeutung des softwaredefinierten Fahrzeugs – in Graz sieht man den künftigen Herausforderungen jedenfalls mit freudiger Erwartung entgegen.

 

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Philipp Rucker, Magna

Philipp Rucker

Philipp Rucker leitet den Bereich Manufacturing Engineering im Stammwerk von Magna Steyr in Graz. Nach seinem Studium an der TU Graz im Fach Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau mit Schwerpunkt Produktionstechnik trat er 2002 in das Unternehmen ein – und war zunächst in den Bereichen Technologieentwicklung Lack und als Gruppenleiter Anlagenplanung Lack tätig. Nach mehreren Stationen als Leiter des CoC Lack und der Planungsabteilung des Bereichs Painted Body – Karosserierohbau und Lack – übernahm er 2021 die Leitung des Gesamtbereichs, der Planung, Montagestrategie, das Produktionssystem MAFACT, Operational Improvement, Logistikplanung und operativen Transport umfasst.

 

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